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 NATUR
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Starke Bäume
Die Bäume im Dorf
Gerhard Dönig, Süntel-Buchen
Buchbesprechung
Erika Schmidt
Franz von Siebold

ERIKA SCHMIDT
 

Von zarten Gräsern und starken Bäumen
Laudatio auf Erika Schmidt

Ihr Rat ist immer gefragt, wenn es um die Bestimmung seltener Pflanzen geht, eines Baumes genau so wie eines Grases. Woher kommen die profunden botanischen Kenntnisse, wenn sie nicht in der Schule und in der Universität erworben werden konnten? Die Schulzeit fiel in den Zweiten Weltkrieg. An einen geregelten Unterricht war in der Zeit der Bombardierungen Hannovers nicht zu denken. Auch in dem Dorf Leese an der Weser, wohin das kleine Mädchen in Sicherheit gebracht worden war, litt die Schulbildung unter dem Krieg. Biologieunterricht hat es nie gegeben. Und doch liegt hier der Beginn der bewundernswerten Kenntnis der Pflanzen.

Erika Schmidt, geborene Blaschke, war am 24.6.1932 in Hannover geboren worden. Der Vater Paul Blaschke arbeitete als Vorhandwerker, erst bei der Bahn und dann im Elektrizitätswerk. Die Mutter Marie trug zum Unterhalt der Familie als Haushaltshilfe bei einem Geheimrat und Veterinär bei. Sie stammte von einem Bauernhof in Leese an der Weser. Dort hin, auf den Hof der Großeltern, kam Erika Schmidt 1942 nach schweren Luftangriffen auf Hannover. Zuvor war sie 1939 in die Mädchenschule Hannover-Linden eingeschult worden.

Der Hof der Großeltern lag am Ortsrand in Richtung Loccum. Die Birkenallee, die in den Nachbarort führte, erschien dem Mädchen wie ein großer Dom. Zu den wiederkehrenden Aufgaben des Kindes gehörte es, die Kühe zur Weide zu treiben. Und auf dem Rückweg blieb genügend Zeit, sich an den Wegrand zu setzen und die Pflanzen zu bewundern, von denen es damals noch viel mehr gab als die technisierte Landwirtschaft heute zulässt. Erika Schmidt hatte das Talent, vierblättrige Kleeblätter zu finden. An die Heide-Nelke, Dianthus deltoides, kann sie sich noch erinnern, an die gelben Blüten des Acker-Löwenmäulchens, Antirrhinum orontium, und sogar an die grünen Punkte in den blauen Kelchen des Lungen-Enzians, Gentiana pneumonanthe. An der Sandkuhle in der Nähe des Hofes fielen ihr die kriechenden Zweige des Bärlapps, Lycopodium, auf, die wie kleine Fichtenzweige aussahen. Sich all die Pflanzen zu merken, war eine um so größere Leistung, als die dazu gehörigen Namen noch fehlten. Die konnten erst viel später gelernt werden. Wie kommt ein zehnjähriges Mädchen dazu, die Natur so genau zu beobachten? Vögel könnten ihr eher aufgefallen sein oder auch Schmetterlinge als die oft unscheinbaren Pflanzen. Dazu trug die Mutter Marie Blaschke viel bei, denn sie war eine eifrige Sammlerin und gute Kennerin von Pilzen, Früchten und Kräutern. Die kleine Erika hatte sie häufig mitgenommen und so den Keim zur Pflanzenkenntnis wie zur Sammelleidenschaft gelegt. Das gute visuelle Gedächtnis machte es dem Kind leicht, sich die Formen zu merken.

Nach dem Ende der Volksschulzeit folgte von 1948 bis 1951 eine Lehre zur Damenschneiderin. Eine Berufsschullehrerin versuchte jetzt, die durch den Krieg bedingten Wissenslücken zu schließen, und die Schneidermeisterin entdeckte und förderte bei dem Mädchen ein kunsthandwerkliches und künstlerisches Talent. Das führte Erika Schmidt, nachdem sie sechs Jahre lang in einer Fabrik für Herrenhosen hatte arbeiten müssen, in die Theaterschneiderei des hannoverschen Opernhauses als Ankleiderin im Abenddienst. Jetzt konnte sie einer Tätigkeit nachgehen, die ihr lag. Am liebsten aber wäre sie Floristin geworden, wenn es den Beruf damals schon gegeben hätte.

Schon während der Lehre hatte Erika Friedo Schmidt kennen gelernt, den sie 1955 heiraten sollte. Diese Begegnung kam ihrer Neigung zur Naturbeobachtung sehr entgegen, denn Friedo gehörte wie seine Eltern den Wandervögeln an. Regelmäßig ging es hinaus aus der Stadt, zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Vorortzug. Auf einer dieser Touren machten Erika und Friedo die Bekanntschaft mit einer Gruppe des Vereins der Naturfreunde aus Hannover-Ricklingen. Deren Leiter Julius Groß arbeitete als Präparator in der Naturkundeabteilung des Niedersächsischen Landesmuseums. Er war ein leidenschaftlicher Naturbeobachter. Vor allem aber war es ihm gegeben, andere für die Natur zu begeistern, auf Wanderungen, in Lichtbildervorträgen und kleinen Publikationen über Wanderfalken genau so wie über Käfer oder die Orchideen in den Alfelder Bergen. Eifrig lernte Erika jetzt die Namen all der Pflanzen, die sie schon kannte. Friedo Schmidt hielt das für nicht so nötig und musste sich von Julius sagen lassen: „Du hast es doch auch lieber, wenn Dich jemand mit Deinem Namen anreden kann. Genau so geht das den Pflanzen.“ Das war einzusehen. Auch in der Volkshochschule wurde das Wissen vermehrt und der Gesichtskreis mit einer Exkursion an den Gardasee erheblich erweitert.

Julius Groß hat auch die Wege zu anderen Pflanzenfreunden im Landesmuseum und im Verein für Naturkunde geebnet, so zu dem Apotheker Klaus Wöldecke oder zu dem Heilpraktiker Gerhard Heuer, der als bester Pilzkenner und Fachmann für Koniferen galt. Von Heuer kam auch die Anregung zu einer Urlaubsreise an den Neusiedler See, wo Erika mit Friedo vom unglaublichen Vegetationsreichtum fasziniert waren. Mit Erika zusammen hatte Julius Groß eine Führung zu den Koniferen des Engesoder Friedhofs vorbereitet. Als er dann viel zu früh mit sechzig Jahren verstarb, war Erika auf sich allein gestellt und kam, von Friedo unterstützt, zu ihrer ersten eigenen botanischen Führung. Der Tod von Julius Groß bedeutete einen schmerzlichen Verlust. Doch der Freund hatte tiefe Spuren hinterlassen. Die Zusammenarbeit mit Friedo bewährte sich. Gemeinsam bereiteten sie jetzt Lichtbildervorträge vor, denn Friedo war ein guter Fotograf. Nach dem gemeinsamen Vortrag über die Exkursion zum Gardasee bot Dr. Friese, der Direktor der Naturkunde-Abteilung des Niedersächsischen Landesmuseums, Erika 1970 die ehrenamtliche Mitarbeit im Museum an. Es begann eine fruchtbare Zusammenarbeit, die sich unter Frieses Nachfolger Dr. Gerhard Boenigk fortsetzte. Erika wurde Mitglied und dann Schriftführerin des dem Landesmuseum angegliederten Vereins für Naturkunde, übernahm im reichhaltigen Beratungsangebot des Museums ehrenamtlich die botanischen Sprechstunden und im museumspädagogischen Dienst als freie Mitarbeiterin botanische Führungen in Hannover und Umgebung.

Sie bot Volkshochschulkurse an, setzte die Führungen im Gelände fort und reihte sich in den Kreis derjenigen ein, die den Besuchern die Herrenhäuser Gärten nahe brachten. Die eigenen Kenntnisse wurden ständig vermehrt: Erika Schmidt beteiligte sich an den botanischen Kartierungen für die Publikation der Biotope Südniedersachsens von Professor Dr. Henning Häupler. Sie botanisierte auf Einladung von Dr. Friese in Spanien. Professor Franz Meyer schickte seine Studenten von der Universität Hannover in das Landesmuseum und den Verein für Naturkunde, damit sie bei Erika Schmidt in Bestimmungsübungen Pflanzen kennen lernten. Herr Professor Meyer stand damals als Präsident der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft vor und bat Erika Schmidt, an der Vorbereitung der Jahrestagung in Bad Nenndorf mitzuwirken. Daraus ergab sich die Mitgliedschaft in der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft, und es folgte die Erweiterung des Exkursionsprogramms der Erika Schmidt auf die Kurparks von Bad Nenndorf, Bad Eilsen und Bad Pyrmont. Mit dem in der Theaterschneiderei verdienten Geld konnte sie auch an den Auslandsexkursionen der Dendrologen teilnehmen.

Den engen Kontakten zur Deutschen Dendrologischen Gesellschaft folgte die Verbindung zur Gesellschaft Deutsches Arboretum, die unter ihrem Präsidenten Dr. Reinhard Weidner besonders eng geknüpft wurden. Es war gar keine Jahrestagung oder Exkursion mehr vorstellbar, an der Erika Schmidt nicht teilnahm. Auf den zahlreichen Exkursionen, die sie bis nach Nordamerika führten, wurde sie zur exzellenten Kennerin von Gehölzen. So ergab es sich zwanglos, dass sie an den Bestandsaufnahmen vieler Parks und Arboreten mitarbeitete, so im Park Hohenrode in Nordhausen, im Arboretum Melzingen bei Uelzen, im Schlosspark Schwöbber im Weserbergland, im Iken-Arboretum Bremen und im Bausch-Park in Neu Kaliß in Mecklenburg.

Und immer war die Bestimmung der Pflanzen mit dem Botanisieren verbunden. Erika Schmidt trug eine erstaunlich reiche Sammlung von gepressten Blättern und Blüten zusammen. Sie nennt eine der größten privaten Sammlungen von Früchten und Samen ihr Eigen. Nicht nur ihr Mann Friedo, sondern sie selbst begann, Pflanzen fotografisch zu dokumentieren, erst analog, dann digital. Das Pressen und Trocknen von Pflanzen begann sie durch das Farbkopieren zu ergänzen. Das Niedersächsische Landesmuseum Hannover und andere Museen widmeten ihrer Sammlung Sonderausstellungen und gaben Kataloge heraus.

So erfüllt sich ein reiches Leben, in dessen Mittelpunkt das Interesse, ja die Liebe, zur faszinierenden Formenvielfalt von Pflanzen stehen. Geweckt war das Interesse bereits von der Mutter worden, gefördert wurde es von vielen freundlichen Menschen, welche die ungewöhnliche Beobachtungsgabe und das ausgeprägte visuelle Gedächtnis erkannten und Erika Schmidt nach Kräften förderten. Daraus erwuchs ein großer Wissensschatz, der Erika Schmidt zur anerkannten Expertin für die Bestimmung von Pflanzen machte. Diesen Schatz gibt sie gerne weiter. Bei ihren Führungen in Museen, in Gärten, in der Stadt und der offenen Landschaft wurde sie zur erfolgreichen Pädagogin. Der Funke ihrer Begeisterung springt auf die Zuhörer über. Es bildeten sich Freundeskreise. Ihr weiteres Betätigungsfeld, das Sammeln von Blättern, Blüten und Samen, ist so erfolgreich, dass ihre Sammlung die Wohnung zu sprengen beginnt und für die Schätze nach einer dauerhaften Bleibe in einem Museum gesucht werden muss.

Bei so viel Erfolg blieben Würdigungen und Ehrungen nicht aus. Erika Schmidt erhielt das Bundesverdienstkreuz und die Ehrennadel des Vereins für Naturkunde. Am wichtigsten aber sind ihr die Zuneigung ihres Publikums und die Freundschaft zu Botanikerkollegen, deren fachliche Anerkennung ihr gut tut. Erika Schmidt wurde als Autodidaktin zu einer großen Dendrologin und zu einer Botschafterin der Bäume.

2009




 

Erika Schmidt fachsimpelt mit Professor Warda