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 NATUR
Grün ist die Heide
Starke Bäume
Die Bäume im Dorf
Gerhard Dönig, Süntel-Buchen
Buchbesprechung
Erika Schmidt
Franz von Siebold

BUCHBESPRECHUNG
 

Süntel-Buchen in Deutschland, Frankreich, Dänemark, Schweden und sonst in Europa. Von Gerhard Dönig. Ortsgruppe Bad Münder des Heimatbundes Niedersachsen e. V., Bad Münder 2012. 508 Seiten mit zahlreichen Farbfotos. ISBN 978-3-00-039732-5. Preis 49.50 €.

Während die Rot-Buche, Fagus sylvatica, in unseren Wäldern mit 14% der Baumarten am zahlreichsten vertreten ist, stehen in Deutschland nur wenig mehr als 100 Süntel-Buchen, Fagus sylvatica Tortuosa’, auf eigener Wurzel am Naturstandort. Sie waren der Schrecken der Forstleute, denn mit ihrem Dreh- und Krüppelwuchs waren die Bäume nur als Brennholz und sonst zu nichts zu gebrauchen. Hexenbuche und Teufelsholz nannte man die unbeliebten Bäume, die kurz vor der Ausrottung standen. In der Almende konnten sie sich noch halten, aber mit der Verkoppelung wurde der letzte Süntel-Buchenwald bei Hülsede ab 1843 gerodet.

Gerade noch vor der Vernichtung schrieb der lüneburgische Forstmann E. Tilemann „Über den abnormen Wuchs der Buchen in den Hülseder Gemeinde-Forsten...“ und fügte ein paar Zeichnungen hinzu. Den Begriff Süntel-Buchen kannte er noch nicht. Der taucht zuerst 1874 auf. Gerhard Dönig stellt nicht nur die alten schriftlichen Quellen mit großer Akribie zusammen, er gibt ebenso einen Überblick über die ältesten Abbildungen der Baumart seit 1843. Den Glanzpunkt der frühen Schriftquellen setzt ohne Zweifel im Jahr 1911 Clementine Freifrau von Münchhausen mit ihrem Aufsatz „Die Süntelbuche“ in den Mitteilungen der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft. Nicht nur die treffende Beschreibung, auch die hohe literarische Qualität bereitet dem Leser noch heute große Freude.

Gerhard Dönig widmet der bekanntesten aller Süntel-Buchen, der Tillybuche, breiten Raum. Sie stand im Forst des Ritterguts Nienfeld, Gemeinde Aue im Landkreis Schaumburg. Vom Keimdatum 1793 bis zu ihrem Zusammenbruch bei einem Sturm im Jahr 1994 trägt Dönig die Quellen sorgsam zusammen. Detlef Ehlert konnte sie 1993 noch vermessen und stellte einen Brusthöhenumfang von 461 cm fest. 1978 hatte Erich Frahm, der Inhaber der Hamburger Baumschule Timm & Co., von der Tillybuche Reiser entnehmen lassen und sie gepfropft. Aus Hamburg hat dann Gerhard Dönig Reiser zur weiteren Veredelungen erhalten, so dass das Genmaterial der berühmten Buche erhalten geblieben ist. Ein Nachkömmling hat inzwischen den Weg in das Süntel-Buchenreservat gefunden.

Dieses Reservat im Ortsteil Nettelrede der Stadt Bad Münder wurde 1984 auf Initiative von Udo Mierau von der Ortsgruppe Bad Münder des Heimatbundes Niedersachsen eingerichtet. Es ist etwa ein Hektar groß mit der Option einer Erweiterung. Seitdem sind auf dieser Fläche zahlreiche Süntel-Buchen gepflanzt worden, viele aber auch wieder eingegangen. Die 2010 an der Universität Hannover entstandene Diplomarbeit von Christine Hagedorn über das Reservat verzeichnet in einem Baumkataster und auf dem Lageplan 91 Süntel-Buchen, aus Bucheckern gezogene und gepfropfte, darunter auch etliche Blut-Süntel-Buchen Fagus sylvatica ’Rot-Süntel’. Zu Beginn war das Ziel einfach, möglichst viele Süntel-Buchen ungeachtet ihrer Herkunft flächendeckend zu pflanzen. So gingen viele der veredelten Bäume auf eine einzige Süntel-Buche im Berggarten Hannover-Herrenhausen zurück. Das hat sich in den vergangenen Jahren gründlich geändert. Einige Bäume dieser Herkunft sind inzwischen an Gärten und Parks abgegeben worden. Die unter Michael Meier neu errichtete Arbeitsgruppe Süntel-Buchenreservat hat als neues Ziel eine möglicht große genetische Vielfalt ausgegeben und ist daran gegangen, ein Genarchiv regionaler Süntel-Buchen zu schaffen. Klone von 37 ausgewählten, verstreut stehenden Einzelbäumen der Region werden im Reservat zusammengeführt, wo sie sich untereinander bestäuben können.

Bei den Spekulationen zur Entstehung der Süntel-Buche hält sich der Verfasser wohltuend zurück und beschränkt sich auf die Aussage, dass die beachtliche Vitalität der Rot-Buche durchaus auch die geringfügigen Genabänderungen hervorgebracht haben kann, die der Süntel-Buche zugrunde liegen. Ganz anders ist es bei der Vermehrung. Da merkt man den Texten an, dass sich der Verfasser mit diesem Thema nicht nur theoretisch auseinandergesetzt, sondern eingehend praktisch beschäftigt hat. So, wenn der Leser erfährt, dass aus einigen Tausend Aussaaten weniger als 1% Süntel-Buchen entstehen, die sich frühestens im vierten Wachsjahr zu erkennen geben. Die Erklärung ist einleuchtend. Die Süntel-Buchen, die das Saatgut liefern, werden von unzähligen Rot-Buchen umgeben, so dass gegenseitige Bestäubungen die Regel sind. Die Vermehrung durch Absenker, mit Stecklingen oder das sogenannte Abmoosen spielen kaum eine Rolle. Dagegen hat sich die Pfropfung oder Veredelung bewährt und zur gängigen Methode der Vermehrung entwickelt. Auch hier hat der Verfasser gründliche praktische Erfahrungen gesammelt. Das findet in einem eigenen Patent zur Grünveredelung (im Gegensatz zur Hartholzveredelung) von Buchen seinen Ausdruck. Dank der Veredelungen hat sich die Zahl der Süntel-Buchen sprunghaft erhöht. Sie sind heute über gut sortierte Baumschulen zu beziehen und haben in botanischen Gärten, Parks und Landschaftsgärten Einzug gehalten.

Der umfangreiche Hauptteil des Buches ist der ausführlichen Beschreibung der einzelnen Süntel-Buchen gewidmet, vom Standort über die Geschichte bis zu ihrer Gestalt. Die Gliederung folgt der Geografie, beginnend in Niedersachsen mit dem Schwerpunkt Süntel und Deister. Es folgt das übrige Deutschland. Die Verbreitungskarte verzeichnet Standorte von Ellerhoop und Lietzow auf Rügen im Norden, Berlin und Hartha im Osten, München und Freiburg im Süden, Dyck und Trier im Westen.

In Frankreich steht das beachtliche Vorkommen der faux tortillards bei Verzy, südöstlich von Reims im Département Marne gelegen, im Vordergrund. Die dänischen vrange böge sind fast ausschließlich auf die Insel Seeland begrenzt, während sich die vresbokar in Schweden deutlich im südöstlichen Teil der südschwedischen Provinz Schonen konzentrieren. Die Vorkommen in weiteren europäischen Ländern, in Belgien, der Schweiz, in Polen und Slowenien umfassen nur wenige Exemplare. In Deutschland sind nur gut 100 Naturstandorte bekannt sind, die Bäume in Gärten und Parks werden bis zu 500 geschätzt. In Frankreich, Dänemark und Schweden ist das Verhältnis genau umgekehrt. Die Zahlen der Naturstandorte zu den Gartenstandorten betragen in Frankreich 850 zu 100, in Dänemark 90 zu 10 und in Schweden 1200 zu 70. Demnach scheint in Deutschland bei der Vernichtung von Süntel-Buchen im Zuge der Verkoppelung gründliche Arbeit geleistet worden zu sein. Und noch etwas zeigen die Zahlen. Fagus sylvatica ’Tortuosa’ ist in Frankreich und Schweden stärker vertreten als in Deutschland.

Die Publikation über Süntel-Buchen von Gerhard Dönig ist mit der großen Fülle des zusammengetragenen Materials keine leichte Lektüre, zumal die zahlreich eingefügten Zitate den Textfluss oft unterbrechen. Das Buch ist nicht einfach zum Lesen, es ist zum Studieren und zum Nachschlagen gedacht. Für denjenigen, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt, wird es zur Pflichtlektüre. Nirgendwo sonst sind bisher die Quellen über Süntel-Buchen in Deutschland und ihre engen Verwandten in Frankreich, Dänemark und Schweden so vollständig zusammengestellt worden. Das ist das große Verdienst des Verfassers.

Heinz Schirnig 2012