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 MUSEEN
Was im Verborgenen blüht
Nostalgie inklusive
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WAS IM VERBORGENEN BLÜHT
 

Was im Verborgenen blüht

Rede zum 40. Geburtstag des Museumsdorfs Hösseringen,
gehalten am 12. Juli 2015 im Brümmerhof

Vierzig Jahre. Das ist weit mehr als die mittlere Lebensspanne eines Menschen in der Zeit, als die Häuser des Museumsdorfes erbaut wurden. Und manch ein Zweifler hat dem Museumdorf auch keine längere Lebenszeit zugetraut. Die Wohlmeinenden und die Optimisten hielten die Museumsgründung damals für mutig. Die Missgünstigen und die Pessimisten hielten den Plan für verrückt.

Die Zweifel galten vor allem dem Standort in der beschaulichen Waldlandschaft südlich des Dorfrandes von Hösseringen in der Samtgemeinde Suderburg, sozusagen - man verzeihe mir den Ausdruck - im Niemandsland zwischen Uelzen, Celle und Gifhorn oder, aus größerer Entfernung gesehen, zwischen Hamburg, Hannover und Braunschweig. 12 km sind es bis zur Bundesstraße unf 50 km bis zur nächsten Autobahn. Bis zum Bahnhof Suderburg sind es 8 km. Von den nächsten Metropolen in rund 100 km Distanz ist das Museum nicht gerade leicht zu erreichen. Kein Freizeitpark hätte diesen Standort gewählt.

Aber es sollte auch kein Freizeitpark entstehen, sondern ein Museum, das bewusst in einer strukturschwachen Gegend angesiedelt wurde. Hier sollte es für auswärtige wie einheimische Besucher ein lebendiges und attraktives Ausflugsziel bieten, um dem Tourismus Auftrieb zu geben. Und es sollte ebenso ein authentischer Spiegel der ländlichen Kultur sein, mit der die Bevölkerung sich indentifizieren kann.

Die Geschichte des Museums begann 1975 mit der Gründung des Vereins Landwirtschaftsmueum Lüneburger Heide am Landtagsplatz zu Hösseringen. Wie bei jedem Projekt kommt es auf die Menschen an, die sich der Aufgeabe verschrieben haben. Vor allem war es der damalige Landrat des Landkreises Uelzen Erich Schulze, der unermütlich für das Vorhaben warb. Er war konservativ und seiner Heimat verbunden, nie aber fanatisch oder rechthaberisch. So konnte er die politische Unterstützung im Landkreis sichern, und er konnte Menschen und Organisationen zusammenführen, das Landvolk und die landwirtschaftlichen Vereine, die Landfrauenvereine, die Landjugend und die Georgsanstalt als zentralen Ausbildungsort des landwirtschaftlichen Nachwuchses. Die Samtgemeinde Suderburg war von Anfang an aktiv dabei. Dazu gewann er einzelne, ganz unterschiedliche Personen, die in der Planungsgruppe zusammenarbeiteten. Sie besteht heute noch, natürlich in ganz anderer, nicht weniger kompetenter Zusammensetzung. Zu Beginn waren es Axel Beeker, der nicht nur ein guter Kenner von Pflanzen, sondern ebenso der ländlichen Sachkultur war. Volker Hille war als Architekt unverzichtbar. Hans Günter Tiedge brachte als Leiter der Georgsanstalt mit seinem Elan und unerschöpflichem Wissen das Projekt voran. In Hans-Jürgen Vogtherr hatte die Gruppe einen versierten Historiker. Mit Waltraud Simon waren die Landfrauen und mit Alfred Behn die Vereinigung Landtagsplatz vertretn. Jürgen Block von der Kreissparkasse Uelzen hatt eine wichtige Aufgabe. Und schließlich war der damalige Kreisarchäologe Heinz Schirnig als Museumsfachmann und Organisator der Planungsgruppe mit von der Partie.

Die praktische Arbeit begann mit der Umsetzung des "Rauchhauses" aus Bahnsen, einem Kötnerhaus aus dem Jahr 1648. Bis auf ein paar Spezialarbeiten wie die Deckung des Reetdaches geschah alles in Eigenleistung der Vereinsmitglieder. Ohne de Hilfe des Zimmermanns Hermann Fritsche und seines Helfers Manfred Noeßler wäre das nicht möglich gewesen. Die Dokumentation des Hauses und die Technik der Umsetzung waren noch schlicht. Das sollte sich in den kommenden Jahren grundlegend ändern. Das Museumsdorf wuchs rasant. Heute stehen auf dem 10 ha großen Gelände 27 Gebäude. Und jeder Umsetzung gingen sorgfältige bauhistorische Untersuchungen und Dokumentationen voraus. Die Methoden des Umsetzens wurden verbessert bis hin zum Transport großer Buteile im Verbund mit Hilfe von Kran und Tieflader. Dadurch gelang es, Originalität und Authentizität der Gebäude in ganz anderer Weise, viel präziser zu bewahren. Das bedeutendste Baudenkmal, das seinen Weg hier her fand, ist der Brümmerhof aus Moide im Heidekreis. Das Bauensemble mit dem stattlichen niederdeutschen Hallenhaus von 1644 zu translozieren, war ein Kraftakt und eine Meisterleistung, die Horst Löbert als Volkskundler, Hans-Jürgen Vogtherr als Historiker und Frank Platten als Restaurator mit einem engagierten Team gemeinsam vollbrachten. In den letzten Jahrzehnten ist ein Freilichtnuseum entstanden, das ein kleines, für die Heide typisches Haufendorf nachzeichnet, mit seiner Wirtschaftsstruktur und sozialen Gliederung, mit der Kulturlandschaft und den ökologischen Problemen.

Auch die Ausstellungen in den Häusern gewannen durch den Einsatz von Gestaltungsbüros didaktisch und ästhetisch zunehmend an Qualität. Das jüngst eröffnete Kleinbauernhaus aus Oldendorf/Luhe im Landkreis Lüneburg ist dafür ein gutes Beispiel.

Zu den zentralen Aufgaben eines Museums gehört das Sammeln. In Hösseringen wurde die unglaubliche Zahl von fast 50 000 Sammlungsgegenständen zusammengetragen. Dabei wurde nicht etwa alles wahllos angenommen, was man gerade kriegen konnte. Die Sammlung wurde sehr gezielt aufgebaut. Sie wurde inventarisiert und dokumentiert. Zu ihrer Erhaltung wirde eine Restaurierungswerksatt eingerichtet. Die Arbeit des Restaurators Frank Platten ging weit über den Kampf gegen den Holzwurm hinaus. Das Museum betrieb intensiv Forschung im ländlichen Raum und pflegte dabei Partnerschaften mit anderen Institutionen. Die Ergebnisse flossen nicht nur in die Ausstellungen ein, sie kamen auch in zahlreichen Publikationen zum Ausdruck.

Schließlich leistete das Museum unter Günter Reimers eine beachtliche museumspädagogische Arbeit. Nicht zufällig war es von 1983 bis 1986 mit zwei weiteren Museen an einem museumspädagogischen Modellversuch im ländlichen Raum des Landes Niedersachsen beteiligt. Der Besuch von bis zu 4 000 Schülern pro Jahr war eine erfreuliche Bilanz.

Die Zahl der Besucher insgesamt kann sich ebenfalls sehen lassen. Sie pendelte sich bei 30 000 bis 35 000 pro Jahr ein. Dazu trugen die pupulären Veranstaltungen des Museums bei wie das Treckertreffen, das Apfelfest und das Erntedankfest. Das Museumsrestaurant mit der tüchtigen Wirtsfamilie Gerken ist dabei nicht unwichtig. Dass das Museum dem Tourismus dient, zeigt schon ein Blick auf die Nummernschilder der Autos auf dem Parkplatz. Die Statistik belegt, dass zwei Drittel der Besucher ihren Wohnort außerhalb des Landkreises Uelzen haben.

Die Stärken des Museums träten noch deutlicher hervor, wenn man den Vergleich zu dem Dutzend benachbarter Museen im Umkreis von 30 km ziehen würde. Das aber will ich mit Rücksicht auf die anderen Museen unterlassen, denn die würden dabei schlecht abschneiden.

Die in Hösseringen geleistete Museumsarbeit fand zu Recht in Niedersachsen und weit darüber hinaus fachliche Anerkennung. Das war die Voraussetzung für die Förderung durch die Europäische Union, das Land Niedersachsen, die Stiftung Niedersachsen, die Niedersächsische Sparkassenstiftung, die Stiftung der Niedersächsischen Volk- und Raiffeisenbanken, die VGH-Stiftung, den Lüneburgischen Landschaftsverband und vieler anderer mehr. Die Hauptlast der Finanzierung trug in den vier Jahrzehnten der Landkreis Uelzen. Sein Engagement ist vorbildlich. Die Schwerpunktbildung mit der Honorierung von Leistung ist allemal effektiver als eine Förderung nach Proporz mit der Gießkanne. Es konnte ein beispielhaftes Museum im ländlichen Raum entstehen. Die erstaunliche Entwicklung, die das Museumsdorf Hösseringen genommen hat, gibt sich dem Blick von außen noch klarer zu erkennen, als aus der Nähe. Mein beruflicher Weg führte mich vor langer Zeit, schon zwei Jahre nach der Museumsgründung, nach Hannover. Dadurch blieb mir mansches Detail vorenthalten, die wohlwollend kritische Sicht aus der Ferne aber wurde um so schärfer. Sie Ihnen als kleine Zwischenbilanz zu vermitteln, ist mein Anliegen.

Freilichtmuseen? Da fallen einem heute in Norddeutscchland nicht nur die Museumsdörfer Cloppenburg, Detmold, Kiel-Molfsee und der Kiekeberg vo den Toren Hamburgs wein, sondern ebenso Hösseringen. Es hat sich in diesem Kreis einen festen Platz erobert und ist in seiner stillen Lage zu einer kostbaren Blume der Museumslandschaft herangewachsen, die - noch - im Verborgenen blüht.

Ich wünsche dem Museum, Ihnen lieber Herr Dr. Brohm und Ihrem Team, für die nächsten 40 Jahre alles Gute.

Heinz Schirnig