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 KUNST
Zustand der Ruhe
Die große Wand
Unter Grund
Eine Bronzebüste entsteht
Metamorphosen
Aber die Kunst bleibt
Die Forderung des Raumes
Uelzener Fensterstreit

DIE FORDERUNG DES RAUMES
 

Atlantis oder die Forderung des Raumes
Plastiken von Georg Münchbach im Arboretum Melzingen
2001

Atlantis oder die Forderung des Raumes – ein ungewöhnlicher Titel für eine Ausstellung ist das nur dann, wenn man Georg Münchbach und seine Arbeit nicht kennt. Seit Jahrzehnten lebt Georg Münchbach auf seinem Hof in Wittenwater. Seit Jahrzehnten arbeitet er dort mit Ernst und Ausdauer an seinen Plastiken und Bildern, beschäftigt sich ebenso intensiv mit Fragen der Philosophie, der Geschichte und Archäologie. Dabei kreisen seine Gedanken die Themen ein, denen er sich zuwendet. Dazu zählen – für einen Bildhauer naheliegend – Probleme des Raumes ebenso wie der Säule, aber auch die Geschichte des alten Europas, Fragen der Megalithik und besonders der Bericht des Platon über das sagenumwobene Atlantis.

Seiner künstlerischen Arbeit und seiner philosophischen Auseinandersetzung mit der Kunst kommt die Stille des kleinen Dorfes zugute. Die Verbindung zu seiner Heimat Freiburg im Breisgau und zur weiten Welt hat er nie abgebrochen. Ohne sie wäre seine Kunst auch nicht denkbar, denn seine Maßstäbe bezieht er nicht aus der Region. Wer ihn besucht, entdeckt hinter der hohen Hecke überall – in Haus, Stall, Scheune und Garten – ungeahnte Schätze.

Atlantis oder die Forderung des Raumes. Den Titel der Ausstellung hat Georg Münchbach selbst vorgeschlagen. Zwei große Themenkreise werden damit bezeichnet, denen sich Münchbach in seinen Gedanken und seinen Arbeiten eingehend und über lange Jahre zuwendet. Modische Trends sind Münchbachs Sache nicht. Seine Arbeit ist auf lange Frist und Kontinuität angelegt.

Atlantis, das versunkene Land im Unbestimmten jenseits der Säulen des Herakles, zieht uns gerade deswegen in seinen Bann, weil es mehr Fragen als Antworten bereithält, den Deutungen des Betrachters Raum gibt – und darin der Kunst nicht unähnlich ist. Um wie viel mehr muss ein Bildhauer fasziniert sein, dessen Thema die Säule ist und dem dazu der Bericht des Platon die Sicht auf das archaische Europa einen Spalt breit öffnet.

Die Auseinandersetzung des Bildhauers mit dem Raum ist unausweichlich. Georg Münchbachs intensive philosophische Beschäftigung mit diesem Thema beginnt bei Parmenides von Elea, einem griechischen Philosophen aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert. Für den ist der Raum nicht einfach das Leere, er misst ihm Sein und Unvergänglichkeit bei. Von hier spannt Münchbach den Bogen bis zur modernen Physik. Für Münchbach schließen Berg oder Säule immer auch den Raum mit ein, der von ihnen begrenzt wird. Nur so sind seine Arbeiten zu den Themen Berg und Tal zu verstehen, Titel wie „Ende des Tals“ oder „Hohe Wand und enges Tal“ zu begreifen. Auch die Skulpturenpaare, die aufeinander bezogen sind und sich gegenüberstehen, gelten diesem Thema.

Als Bildhauer drückt Georg Münchbach seinen Vorstellungen vor allem in Stahl aus. Im Arboretum Melzingen baut er ein Spannungsverhältnis auf zwischen den Plastiken untereinander, zwischen ihnen und den Pflanzen. Er schafft neue Räume, Korrespondenzen von Kontrast und Harmonie gleichermaßen. Zuerst steht der glatte, klare und harte Stahl im Gegensatz zu den organischen, weichen Formen des Gartens, die Münchbach einmal „Ästhetik der Fülle“ genannt hat. Dieser Begriff trifft ganz besonders auf den von Christa von Winning geschaffenen Garten zu, der ja nicht nach der Kriterien eines Parks angelegt ist und auch nicht nach der feinen Ästhetik englischer Gärtnerinnen wie Gertrude Jekyll oder Penelope Hobhouse, die in ihren Gärten gleichsam mit Pflanzen malen und damit selber künstlerisch arbeiten. Dieser Garten hier ist – nach der strengen Phase des Nutzgartens – intuitiv entstanden und üppig gewachsen, organisch wie seine Pflanzen. Es entstand in der Tat ein Garten der Fülle, dem Georg Münchbach seine Plastiken entgegenstellt und einfügt. Kraft und Eleganz, manchmal auch Kälte, strahlen sie aus, die Körper aus Stahl. Ihre Schweißnähte wirken wie Narben, geben den Körpern Charakter und schlagen mit ihren organischen Formen eine erste Verbindung zum Garten. Vor allem aber nehmen die Oberflächen, milchigen oder glänzenden Spiegeln gleich, ihre Umgebung auf, das Licht, den Himmel, die Pflanzen, geben sie zurück und werden dabei ästhetischer Teil des Gartens.

Nicht nur, weil Gartengestaltung im besten Sinne auch Kunst ist, passen beide zusammen und ergänzen einander. Beide erschließen sich erst, wenn wir sie in Ruhe betrachten, uns mit ihnen beschäftigen. Dass manchem Besucher die zeitgenössische Kunst im Garten ungewohnt und rätselhaft entgegentritt, ist ganz verständlich. Wenn sie manchen irritiert, ist das gewollt.


Postskriptum:
Verstanden oder gar geliebt wurde die Kunst im Arboretum Melzingen nie. So war es nur konsequent, dass der Künstler die Skulptur "Reflektion", die von seiner Ausstellung als Leihgabe im Garten verblieben war, mit Zustimmung des Stiftungsvorstandes im Jahr 2008 abtransportierte - eine Niederlage.