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Die Schöninger Speere

DIE SCHÖNINGER SPEERE
 

Die Schöninger Speere

Eine Ausstellung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover zur Jagd vor
400 000 Jahren





Wie Aquarien sehen sie aus, die langgestreckten Glaskästen. In paralleler Formation stehen sie, schlicht, fast elegant mit den metallenen Kanten und den weißen Sockeln. Nicht Fische tummeln sich darin, sondern in jedem der Kästen ruht als Solitär ein hölzerner Speer schwarzbraun in der bläulich schimmernden Flüssigkeit. So wurde es möglich, die kostbaren Exponate dem Publikum zu zeigen, bevor der langwierige Konservierungsprozess seinen Abschluss finden wird. Ein ganz eigener ästhetischer Reiz geht von dieser Präsentation aus. Fern und unnahbar wirken sie, die ältesten hölzernen Jagdwaffen der Menschheit. Genau das ist die Intension der Ausstellungsmacher. „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land“ zitiert Stefan Iglhaut in der Ausstellungsdokumentation den Historiker David Lowenthal und fährt fort, dieses Land müsse wie ein unbekannter Planet entdeckt und erforscht werden. „Wir heben ab von der Erde und treten eine Reise an, um unsere eigene Vergangenheit zu erforschen.“

So ist die Leitidee der Gestaltung das Bild einer Forschungsreise im Kontext von Raumfahrt und Science Fiction. Eine futuristische, raumschiffähnliche Atmosphäre entsteht. Dem Besucher werden die archäologischen Funde und Befunde in Forschungsstationen, Beobachtungs- und Laborräumen näher gebracht. Die Liebhaber von Science Fiction werden unschwer Elemente von „Raumschiff Enterprise“ und „2001: Odyssee im Weltraum“ erkennen. Ob diese Motive jedoch wirklich so allgemein in das Bildgedächtnis eingegangen sind, dass die Ausstellungsbesucher in allen Stationen die Zusammenhänge sehen, sei dahingestellt. Wenn auch zuweilen das futuristische Umfeld die originalen Funde in den Hintergrund zu drängen droht (Der Besucher würde sich ein paar Originale mehr des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege wünschen), so erzählt die Ausstellung insgesamt anschaulich und eindringlich die faszinierende Geschichte der Schöninger Speere.

Gleich zu Beginn der Ausstellung lenkt die klobig schwere Schaufel eines Schaufelradbaggers den Blick auf den Braunkohletagebau, der bei Schöningen gigantische Gruben gerissen und eine Landschaft geschaffen hat, die mehr an den Mond als an die Erde erinnert. Für die Archäologie bot der Aufschluss die einmalige Gelegenheit, in Tiefen vorzudringen, die sich gewöhnlich der Forschung entziehen. Diese Chance hat das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege in jahrelangen Ausgrabungen genutzt. So gelang 1994 in einer 16 m tiefen und 400 000 Jahre alten Schicht eine Entdeckung, die mit vollem Recht als Sensation zu bezeichnen ist. Am Rande eines ehemaligen Sees kam ein Jägerlager zutage. Nicht nur Steingeräte waren erhalten geblieben, sondern die Reste der reichen Jagdbeute, vier Feuerstellen und acht hölzerne Speere, ein Wurfholz und ein „Bratspieß“.

Die ganz überwiegende Zahl der Knochen konnten Wildpferden zugeordnet werden.
Die Skelettreste stammten von mindestens 20 Tieren der Art Equus mosbachensis, dem Mosbach-Pferd, nach dem ersten Fundort der Fossilien so benannt. im Vergleich zu den heute noch lebenden Wildpferdarten war es mit einer Schulterhöhe von durchschnittlich 1,58 m sehr groß, wie das vollständig rekonstruierte Skelett anschaulich zeigt, das als Leihgabe aus dem Naturhistorischen Museum Mainz in der Ausstellung steht. Aus Schöningen selbst stammen mehrere gut erhaltene Schädel. Es waren fast ausschließlich jüngere Tiere, und es fehlten weitgehend die Knochen der fleischreichen Extremitäten, so dass die Fundstelle als ein Platz zum Zerlegen der Tiere gedeutet werden kann. Zudem war die etwa 50 m lange und 10 m breite Fundstelle, auf dem trocken gefallenen Ufer eines ehemaligen Sees gelegen, ein idealer Jagdort, frei von Bäumen und Büschen und somit für die Jäger gut überschaubar.

Die Speere sind die ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit, meisterhaft und mit großer Kenntnis gefertigt. Es entstanden ballistisch austarierte Fernwaffen von hoher Qualität. Sie verlangen auch den heutigen Spezialisten Bewunderung ab. Zu den interessantesten Begleitveranstaltungen der Ausstellung gehörten die Ausführungen von Klaus Wolfermann, dem Olympiasieger im Speerwurf von1972, und seines Trainers, die beide hervorhoben, dass die Schöninger Speere – vom Material abgesehen – den hochmodernen Wurfgeräten in nichts nachstanden. Von großer Bedeutung sind ebenfalls die in Schöningen nachgewiesenen Feuerstellen und ein angekohltes Fichtenholz, das als Bratspieß interpretiert wird. Nicht ohne Grund wird das Feuer mit seiner sozialen Funktion als „Wiege der Sprache“ bezeichnet. Lange Zeit war dem Homo erectus keine planvolle Jagd zugetraut worden. Die Schöninger Fundstelle mit dem Jagdort, der offensichtlich sorgfältig ausgewählt worden war, mit der Jagd auf eine Herde von Wildpferden und wohl nicht nur auf einzelne Tiere, mit den hoch entwickelten Jagdwaffen, mit der überlegten Nutzung des Feuers, das alles lässt auf planvoll und strategisch handelnde Menschen schließen mit hohem Denkvermögen, mit koordiniertem Handeln in der Gruppe. Entsprechend gut ausgeprägt müssen Kommunikation und Sprache gewesen sein. Der Homo erectus, von dem aus Schöningen Teile von Skeletten bisher nicht vorliegen und von dem aus Mittel- und Norddeutschland nur Schädelfragmente aus Weimar-Ehringsdorf, Bilzingsleben und Sarstedt bekannt sind, erscheint nun in einem anderen Licht. Es war eine fähige und erfolgreiche Menschenart, die in Ostafrika ihren Ursprung hatte und seit 700 000 Jahren nach Mitteleuropa vordrang. Diese kulturelle Bedeutung der Schöninger Funde dem Publikum vor Augen zu führen, ist das große Verdienst der niedersächsischen Landesausstellung.

Der Ausstellung, die zuvor schon im Braunschweigischen Landesmuseum gezeigt worden war, kommen in Hannover die großzügigeren Räume sehr zugute. Da das zu Lasten der naturkundlichen Dauerausstellung geschieht, wird deutlich, wie dringend das Niedersächsische Landesmuseum Hannover einen großen und repräsentativen Sonderausstellungsraum benötigt. Dem trotz der erfreulichen Umbauten und Neuerungen der letzten Jahre immer noch etwas betulichen Museum, dessen Dauerausstellungen zum großen Teil etwas Patina angesetzt haben, tut diese frische und moderne Ausstellung außerordentlich gut. Den Kuratoren Martin Schmidt und Wolf-Dieter Steinmetz sowie dem Ausstellungsbüro Iglhaut + Partner ist dafür zu danken.

Der umfangreiche Ausstellungskatalog gibt den Stand der Forschung zu den Ausgrabungen in Schöningen exakt wieder. Die schmalere, gut bebilderte Dokumentation in Deutsch und Englisch, die auch das Ausstellungskonzept beschreibt, ist eine nützliche Ergänzung. Die Ausstellung „Die Schöninger Speere – Mensch und Jagd vor 400 000 Jahren“ ist im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover noch bis zum 27. Juli 2008 zu sehen.

Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Willy Brandt-Allee 5, 30169 Hannover.
Öffnung: Di-So 10-17 Uhr, Do 10-19 Uhr, Mo geschlossen.
Eintritt: Sonderausstellung 7 €, ermäßigt 5 €.
Katalog: Hartmut Thieme (Hrsg.), Die Schöninger Speere. Mensch und Jagd vor 400 000 Jahren, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-89646-040-0, Paperback Preis 19,80 €.
Ausstellungsdokumentation: Martin Schmidt und Wolf-Dieter Steinmetz (Hrsg.), Die Schöninger Speere. Mensch und Jagd vor 400 000 Jahren, Kerpen-Loogh 2008, ISBN 987-3-938078-04-4, Preis Paperback 8 €. Informationen im Internet:

Foto: Die Schöninger Speere in Spezialvitrinen. c Landesmuseum Hannover

Heinz Schirnig